,,Kinnner's, wat de Tied vergeiht"
Nicht immer auf den ersten Blick, doch meist sehr offenkundig, kann man vielfältige Spuren der langen lübischen Vergangenheit in unserer schönen Stadt
entdecken. Lübeck ist eine lebendige und lebenswerte Stadt, die auf eine nunmehr 875-jährige Geschichte zurückblicken kann. Seither wird sie von den Menschen geprägt, die hier leben oder sie
besuchen. Ein Jeder bringt seine Geschichte mit, wird Teil der unsrigen und trägt beim Gehen auch ein Stück Geschichte von uns in die Welt.
Doch nicht nur die Stadt selbst feiert in diesem Jahr ein Jubiläum, auch das Volksfest, mit dazugehörigem Umzug, feiert eine 170 Jahre dauernde
Tradition. lm Schicksalsjahr 1848, als die Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche Frankfurt zusammentrat, versammelten sich aus Freude über diese Entwicklung auch viele
Lübecker vor dem Holstentor und bildeten den ersten Festzug. So gilt es mit einem Auge auf die Vergangenheit zu schauen und diesem
urdemokratischen Ereignis zu gedenken, aber das andere in die Zukunft zu richten und durch das Schreiben der eigenen Geschichte das Morgen zu gestalten.
Aus dem Grußwort der Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer und dem Bürgermeister Jan Lindenau
Als ich diese Wort in der Volksfestzeitung las, wurde mir erst richtig bewusst, warum ich unsere Zusage zur Teilnahme am Volksfest- umzug gegeben habe.
Urdemokratisch
So sind auch die Vereine in Deutschland aufgebaut. Es entscheidet immer die Mitgliederversammlung, kein Präsident, kein Vorsitzender und kein Vorstand. Auf diese Grundsätze bauend, haben wir unseren Verein gegründet.
Das Morgen gestalten
Die ersten Traktoren Made by Porsche verließen in den 50er Jahren das Werk am Bodensee. Sie eroberten sich einen stolzen Platz in der Landwirtschaft. Heute sind Porsche Traktoren beliebte Sammlerstücke. Unser Anliegen ist es, diese Schlepper einem breiten Publikum zu präsentieren und sie vor dem Vergessen zu bewahren. Auch aus diesem Grund haben wir unseren Verein gegründet. Wie kann man sich besser präsentieren als auf einem großen und traditionellem Volksfestumzug? Menschenmassen an den Straßenrändern. Fotoapparate und Handys wohin man schaut. Mittendrin unsere Traktoren. Bessere Werbung gibt es nicht.
Mitte Juni erhielt ich einen Anruf von Herrn Hagelstein. Er stellte sich als 1. Vorsitzenden des Lübecker Volksfestkommitees vor.
Was das Volksfest und der Volksfestumzug sind, braucht man einem Urlübecker nicht zu erklären. Schnell zogen die Bilder aus meiner Kinderzeit am inneren Auge vorbei. Die ganze Stadt war beflaggt, die Linienbusse trugen Lübecker Wimpel und ich stand mit meinen Geschwistern in der Holstenstrasse und wartete auf die Spielmannszüge, die Festwagen und die vielen Bontjes.
Und jetzt wurde ich gefragt, ob wir mit unseren Traktoren nicht am Umzug teilnehmen wollen. Nicht einfach nur mitfahren, sondern wir sollten die Festwagen des Volksfestkommitees ziehen. Sehr stolz habe ich unter Vorbehalt zugesagt. Doch es gab noch einiges zu klären.
- Wer kommt extra für zwei Stunden Umzug nach Lübeck ?
- Was sagt die Versicherung ?
- Wo können wir die Trailer lassen ?
- Was ist mit der Verpflegung ?
Als erstes kam die Anfrage in unsere Whats App Gruppe. Spontan meldeten sich fünf weitere Teilnehmer. Mit mir waren wir also zu sechst.
Als nächstes musste eine weitere Hürde genommen werden. Die Versicherung. Ich bemühte Google und nach langem suchen fand ich die Lösung. Eine Helau-Bescheinigung der Versicherung musste her. Der Gesetzgeber hat extra für Traditionsveranstaltungen Ausnahmeregelungen geschaffen. Man darf nicht angemeldete Hänger ziehen und es dürfen sich sogar Personen auf den Hängern befinden.
Anruf bei der Versicherung
"Moin, ich habe bei Ihnen meinen Traktor versichert und möchte am Volksfestumzug in Lübeck teilnehmen"
"Das freut uns, aber wie können wir Ihnen helfen?"
"Ganz einfach. Ich brauche eine Helau-Bescheinigung von Ihnen"
"Was ist das denn. So etwas kenne ich nicht"
"Dann rufen Sie bitte Ihre Kollegen in Düsseldorf oder Köln an, die kennen das. Danach können Sie mich ja wieder anrufen"
Es verging ein Tag. Dann der Anruf.
"Hallo Herr Barten, Helau, es ist geschafft. Ich habe tatsächlich in Köln angerufen. Meine Kollegen haben gelacht und mir alles über die Helau-Bescheinigung erzählt. Sie erhalten die Bescheinigung per Post. Alles kostenlos"
Eine weitere Hürde war genommen. Jetzt benötigten wir Parkplätze. Am nächsten Tag bin ich zu meinem Chef gegangen und habe ihm von unserem Problem erzählt. Ohne zu zögern bekam ich die Erlaubnis die Firmenparkplätze zu benutzen. Von meiner Firma bis zum Wagendepot waren es nur noch 15 Minuten Traktorfahrt. Dieses Problem war auch geklärt.
Eine Tour mit knurrendem Magen hält auch der tapferste Schlepperfahrer nicht aus. Ich fragte das berühmte Cateringteam, das uns im Alten Land so toll versorgt hatten. Leider fand am gleichen Tag eine Veranstaltung des Hovawart-Clubs statt. Das Cateringteam fiel also aus. Kurzentschlossen sagte meine Frau Silke und mein Sohn Simon zu. Hungern mussten wir also auch nicht.
Halb Acht am Sonntag Morgen startete ich meinen AP22 und fuhr per Achse die 14 km zu unserem Parkplatz. Direkt auf dem Rasen stellte ich den Traktor ab. So wussten die anderen, wo sie abbiegen mussten. Nacheinander trafen alle ein.
Hans und Angelika aus Bad Segeberg Anfahrtsweg 35 km
Norbert aus Glaisin Anfahrtsweg 155 km
Klaus aus Meggerdorf Anfahrtsweg 130 km
Lars und Judith aus Brackel Anfahrtsweg 90 km
Aus beruflichen Gründen mussten Jürgen und Marei aus Husum absagen.
Schnell wurden die Rotnasen abgeladen und die neuen Vereinswimpel befestigt. Pünktlich um 9:00 Uhr setzte sich der kleine Tross in Bewegung. Wir sollten um 9:30 Uhr am Wagendepot sein. Ohne Probleme kamen wir auf den leeren Strassen voran. Der Wagenmeister wartete schon ungeduldich auf uns. Wir lassen uns aber nicht aus der Ruhe bringen. Erst einmal wurden die Traktoren ordentlich geparkt. Danach begutachteten wir die Festwagen. Schließlich trugen wir die Verantwortung für den Transport der Anhänger.
Nun galt es die Anhänger aus dem Depot zu ziehen. Den Anfang machte ein Deutzfahrer. Er übernahm den Mottowagen "Kinner`s wat de Tied vergeiht"
Danach zogen wir die uns zugeteilten Festwagen heraus.
Hier Hans mit dem Holstentor.
Nach getaner Arbeit gab es für alle ein leckeres Frühstück. Die Damen vom Festkommitee haben fleissig Kaffee gekocht und Brötchen geschmiert.
Aufgereiht wie an einer Perlenkette warteten wir auf die Polizei. Es sollte im Konvoi zum Aufstellungsort gehen.
Mit einem mal gab es einen kleinen Tumult. Ein Wagen hatte keine Zugmaschine abbekommen. Ursache war der kleine Deutz. Er konnte mit seinen 900 Kg Gewicht nur einen kleinen Wagen ziehen und bekam deshalb die Litfaßsäule. Ich hatte keinen Festwagen, weil durch die Montage der hinteren Sitzbank nur die Kugelkopfkupplung zugänglich war. Also folgte jetzt ein eiliges Umsetzen der Anhänger. Hans musste das Holstentor abgeben und bekam dafür den Wagen mit den sieben Türmen und dem kleinen Holstentor. Der Deutzfahrer durfte nun das Holstentor ziehen und ich bekam den Mottowagen.
Der Polizeibulli setzte sich an die Spitze und sein Kollege mit dem Fahrrad fuhr voraus. Dieser sorgte für freie Fahrt an den Kreuzungen. Mit Genuß habe ich sechs Ampeln bei Rot überfahren. Alles ohne Punkte und ohne Bußgeld.
Mit 6 km/h ging es zum Aufstellort. Was uns keiner sagte, am Strassenrand waren Schilder mit Nummern aufgehängt und unsere Festwagen waren auch nummeriert. Nun sollten wir an der Stelle parken, an der die Nummern übereinstimmten. Keiner hielt uns auf und so fuhren wir fast bis zum Ende der Strasse. Ganz aufgeregt lief uns ein Ordner hinterher und klärte uns auf. Nun begann wieder das Rangieren, bis alle am richtigen Ort standen. Langsam bekamen wir wieder Appetit. Es war Zeit für Kaffee und Kuchen. Kaum standen wir in der richtigen Reihenfolge, kam auch schon Silke mit Kaffee, Kuchen und zwei Bierzeltgarnituren. Gemeinsam wurde alles im Schatten eines großen Hauses aufgebaut und unsere Kaffeepause konnte beginnen.
Wie immer, ging es bei uns sehr lustig zu. Dies bemerkten auch die Polizisten, die den Umzug begleiteten. Lächend sagten sie zu uns, "Wer so lustig ist, muss etwas getrunken haben. Wir glauben, Ihr müßt einmal in den Alko-Tester pusten". Sehr schnell hatten wir die Drei von unser Nüchternheit überzeugt und luden alle zu Kaffee und Kuchen ein. Nicht nur die offizielle Ordnungsmacht gesellte sich zu uns, auch die Zugleitung stattete uns einen Besuch ab. Mit Drahtesel, ähhhh Drahtpferd hielt er bei uns an. Auch diesen stolzen Reiter versogten wir mit Getränk und Kuchen. Die Zeit ließ sich nicht stoppen und langsam trafen auch die Fahrgäste ein. Alles wurde wieder im Bulli verstaut und die Fahrer suchten ihre Traktoren auf. Nur noch 10 Minuten bis der Umzug losgehen sollte.
Pünktlich setzte sich der Umzug in Bewegung. An erster Stelle zogen die Flanier-Lüüt mit Bollerwagen und Volksfestzeitung los. Dann folgte der Lautsprecherwagen und dann folgte das erste Gespann von uns. Nach und nach reihten sich alle ein. Schützenverein, Karnevalsverein, Sportvereine, Rettungshundestaffel, Johanniter, Feuerwehr, verschiedene Firmen, viele Musik- und Spielmannszüge und die "Lisa von Lübeck". Ein riesiges Model einer Lübschen Karavelle besetzt mit dem Lübecker Shantychor "Möwenshiet". Gezogen von einem bulligen Massey Furguson Traktor. Den Abschluss bildete die historische Komiteekutsche mit dem Bürgermeister Jan Lindenau.
Die Strassen waren gesäumt von unzähligen Menschen. Bonbons, Plüschtiere und sogar Blumen flogen ins Publikum. Immer wieder wurde spontan applaudiert, wenn die Festwagen mit den roten Porsche Traktoren vorbeifuhren. Ich glaube es wurden tausende von Handyfotos gemacht. Wir waren fast ein wenig stolz auf unsere Rotnasen. Sehr langsam kroch der lange Lindwurm durch die Stadt. Das erste Mal bin ich länger als zwei Minuten im ersten Gang gefahren. Alle unsere Traktoren waren super eingestellt. Kein weißer und kein schwarzer Rauch verpestete die Strassen. Immer wieder wurden wir um Bonbons gebeten, aber es bestand ein absolutes BonBonwurfverbot von den Zugmaschinen. Außerdem begleiteten uns jeweils zwei Ordner rechts und links vom Anhänger. Die Sicherheit wurde sehr groß geschrieben.
Alle 6 Bilder © Lübecker Nachrichten Holger Kröger
Einige Impressionen vom Umzug
Gegen 16:00 Uhr erreichten wir den Volksfestplatz. Alle Fahrgäste stiegen aus und wir tuckerten mit den Anhängern wieder ins Depot. Es war ein langer Tag. Es hat allen sehr viel Spaß gemacht und auf meine Frage, "Wie siehts aus im nächsten Jahr?" kam wie aus einem Mund "Ich bin wieder dabei".
An dieser Stelle möchte ich mich nochmals recht herzlich bei den Teilnehmern bedanken. Alle haben einen langen Anfahrtsweg in Kauf genommen und einen ganzen Sonntag geopfert.
Somit haben wir wieder einmal den §2 unser Satzung erfüllt.
§ 2 Vereinszweck
Zweck des Vereins ist, die Erhaltung, Pflege und Repräsentation von technischem Kulturgut zu fördern, insbesondere die Pflege und der Erhalt historischer Allgaier- und Porsche-Diesel-Traktoren.
Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch
- Treffen der Besitzer der Kulturgüter,
- Erfahrungsaustausch über die Restaurierung,
- Übermittlung und Weitergabe von Informationen und Fachliteratur,
- Darstellung der Kulturgüter in der Öffentlichkeit,
- Vorführung und Ausstellung in der Öffentlichkeit um damit technisches Interesse zu wecken. Einhergehend soll der technikhistorische Erfinder- und Pioniergeist visualisiert und plastisch greifbar demonstriert werden.
Tschüs bis nächstes Jahr. Ich glaube, wir sind wieder dabei.